in: Rosa M Hessling. "Garden of Light I",Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt 2002
"In jenem Lichte muß man also werden,
Daß man unmöglich sich entschließen könnte,
Sich einem anderen Bilde zuzuwenden",
so schrieb Dante Alighieri im 33sten Gesang seiner Göttlichen Komödie über die Anschauung Gottes, die den Menschen vollständig in ihren Bann zieht. Gemeint ist das reinste Licht im Himmel, dem Empyreum, das Licht vom Geiste Gottes.
In den Arbeiten von Rosa M Hessling bemerken wir den geistigen Funken, der uns beim unabwendbaren Schauen nicht loslässt. Erst blinzelnd, dann mehr und mehr mit offenen Augen, fixieren wir eine leuchtende Gruppe von drei Bildtafeln. Fast andächtig und bedächtig geht der Betrachter an den Bildtafeln vorbei und lässt sich gefangen nehmen vom gleißenden Licht. Eines ähnlichen Farblichtes wird der Mensch nur ansichtig in frühen Morgenstunden oder im dämmernden Abendlicht, wenn die Sonnenstrahlen schräg über dem Wasser oder der Landschaft stehen. So wie die Lichtmalerei der Natur sind Rosa M Hesslings Gold-Bilder kaum zu beschreiben, sie müssen erlebt werden im langsamen Vorbeischreiten und im ruhigen Sitzen. Was die Künstlerin nach Jahren intensiver Arbeit mit diesen Tafeln auszudrücken vermag, ist innere Ruhe, Konzentration und Kontemplation.
Das inmitten eines bewegten Spektrums heraustretende Leuchten wirft ein unmittelbares Licht auf den Betrachter, ja dringt in ihn ein. "Outro Lado I" (2000-2002) ein Triptichon, und "Outro Lado II" (2000-2002) eine Serie von sieben quadratischen Bildtafeln, befassen sich, wie der brasilianische Musiktitel andeutet, mit der "anderen Seite", dem geistigen Bild hinter den Bildern.
Was ist es, was uns bei den Goldgründen mit ihrem "Sende-Licht" vom Sitzen zum aufmerksamen Auf- und Abschreiten bewegt. Diese Sende-Lichtwirkung, um einen Begriff von Wolfgang Schöne aus "Das Licht in der Malerei" aufzugreifen, darf wohl regelrecht als Lichtmalerei bezeichnet werden.
Die Arbeiten "Outro Lado I und II" bestehen aus silbrigen Aluminiumplatten und wurden in einem Arbeitsgang schwarz bemalt. Diese dunklen Flächen wurden anschließend mit 30 bis 40 wässerigen Lackschichten in Lasurtechnik überzogen. Durch diese konzentrierten Arbeitsgänge schwindet die Dunkelheit allmählich, und es zeigen sich glänzende Oberflächen. Die immer neu gesetzten Farbschleier werden so lange übereinander aufgetragen, bis die Platten mit ihren unzähligen Schichten ans "Licht getrieben" sind, wie Rosa M Hessling sagt.
Der Glanz auf den Bildern von Rosa M Hessling wird hervorgerufen durch horizontale Pinselspuren mit speziellen Pigmenten, die wiederum durch ein vertikales Lineament leicht unterbrochen werden. Durch die Überlagerungen entstehen bei der Siebenerreihe "Outro Lado II" Zentren, die aufglänzen und deren Eigenglanz sich zu den verschiedenen Seiten hin steigern oder abnehmen kann. Diese abgetönten oder aufglänzenden Schichten schimmern teils golden, teils grünlich, bläulich oder silbriggrau, als seien sie ständig in Veränderung begriffen. Das bewegte Tageslicht als auch die Eigenbewegung des Betrachters rufen eine changierende, immaterielle Mitte hervor, die keine Festigkeit anstrebt, sondern ein immer währendes Pulsieren bildhaft macht. Auch wenn sich die Arbeiten stark zu ähneln scheinen, variieren die Platten in ihrem milden Leuchten von warmem Gold zu kühlem silbrigen Weiß. Über grün, blau, grau schimmernden Nuancierungen breiten sich parallele Lichtbrechungen und Wellenüberlagerungen auf den Flächen aus und erzeugen so Schwingungen, die das ganze Ensemble harmonisch zusammenschließen.
Das kühle und glatte Aluminiummaterial, auch wenn es nicht mehr sichtbar ist, bleibt seinem Wesen nach Metall, da es sich von der Wand mit geringfügigem Abstand als dünne Aluminiumplatte erweist, auch wenn diese in eine weiche, seidige Oberfläche überführt wurde. Die seidig damastartige Fläche hebt vorangegangene Arbeitsspuren auf und entwickelt sich mit der Zeit in eine sich allen Verletzungen widerstrebende vollkommene Haut. Makellos rein dem Fließen des Pinsels folgend, verdichtet sich die Fläche Schicht um Schicht in ein unsichtbares Netz sich auflösender Linien, als seien diese in einem ständigen Prozess der Umwandlung. Die im Bild eingeschriebenen Farbspuren vibrieren als tanzende Himmelslichtstreifen. Im steten Werden und Vergehen, Kommen und Gehen der Lichtbündel, ja Lichtstrahlen, verändert sich im Wechsel Schritt um Schritt wärmendes Licht in umgekehrt kühles Dämmerlicht. Schon die mittelalterlichen Goldgründe galten als Spender eines irrealen Lichtglanzes, Symbol einer geistigen Sphäre, welche die Phänomene des Raumes und der Fläche als Projektionsflächen für imaginäre Vorstellungen offen lassen. Ein derartiges Phänomen hat Dante als Empyreum beschrieben, als ein Licht, das aus Gott selbst strahlt.
Schon in den früheren Reliefarbeiten hat Rosa M Hessling die Frage nach dem immateriellen Licht gestellt. Farbe, die sich durch seitliches Abstrahlen zweier in den Raum ragender Vertikalpaneele in der Mitte zu einem nebeligen Farbleuchten verändert, hat die Künstlerin in einer Vielzahl von Arbeiten erforscht. Auf den vorstehenden Streifen längs nebeneinander zu acht, neun oder zehn Teilen angeordnet, variiert das Ergebnis farbiger Schatten und diffuser Zwischentöne immer wieder zu neuen Farbmodulationen. Arbeiten wie "Viriditas" (1999), "Schattenmacht" (1996) oder "Weissheiten" (1996) zeichnen sich durch eine hohe Subtilität und Transparenz aus. Die fein strukturierten Oberflächen scheinen verletzbar und sind dennoch robust, weil das Material spürbar bleibt. Gleichzeitig verändern diese Arbeiten durch die Bewegung des Betrachters ihre Anmutung. Mal kann er eine Seite in Rottönen verfolgen, mal die andere in dunklen Tönen oder mal sind es helle Gelbtöne und mal tauchen bläuliche Streifen auf. Die farbigen Erscheinungen in den Zwischenbereichen suggerieren eine reale Lichtquelle, die aber nur als optisches Phänomen auftritt. Denn die transparente Farbigkeit ist einzig durch das Abstrahlen der seitlichen Farben hervorgerufen. Sie verdichtet sich und verliert sich ebenso wieder. Dichte Deckmalerei steht im Wechsel zu milchiger Helle.
Alle Arbeiten auf Aluminium, wie auch z. B. "Das kleine Glück, See red oder 4 Fälle 1994" als auch "Opposite Plum Bum I-XVIII" (1998) lösen die Farbe und das damit verbundene Eigenlicht aus aller Gegenständlichkeit heraus.
Rosa M Hessling erhebt die Farbe zur Selbständigkeit und macht den Eigenwert bzw. den Darstellungswert der Farbe an sich deutlich. Mit ihrer technischen Perfektion und dem sicheren Umgang mit dem Medium Farbe erreichen die Arbeiten nunmehr die Bilder hinter dem Bild mit den fiktiven Lichterscheinungen. Das fiktive Leuchten dringt aus der Tiefe des Bildraumes hervor und setzt Energien frei, die den Betrachter in eine geistige Sphäre versetzen, die sehr wohl mit dem göttlichen Licht bezeichnet werden kann. Beispielhaft stehen dafür die letzten Arbeiten "Oudro Lado" (2000-2002).
Man möchte meinen, die Künstlerin sei bei dem vollkommensten Grad ihrer Kunst angelangt, in dem Sinne, dass ihr Licht nicht - wie in den Himmelssphären von irgendwelchen Gestirnen - von Lichtquellen her leuchtet, sondern ihrer geistigen künstlerischen Arbeit entspringt. Rosa M Hessling hat kein Gold und Silber zu vergeben, aber sie schenkt uns mit ihren Bildern vergoldetes Silber.